Nachruf: Jean Combier (1926–2020)

In diesen seltsamen Zeiten mag es nicht gerade ermutigend sein, in Jean Combier im März dieses Jahres den ersten an oder mit dem Corona-Virus Verstorbenen der südlichen Bourgogne (Saône-et-Loire) verzeichnet zu haben.
Jean Combier
Abb. 1: Jean Combier im März 2014 in Vergisson IV (Foto: H. Floss).
Harald Floss
Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters
Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie
Schloss Hohentübingen
72070 Tübingen, Germany

In diesen seltsamen Zeiten mag es nicht gerade ermutigend sein, in Jean Combier im März dieses Jahres den ersten an oder mit dem Corona-Virus Verstorbenen der südlichen Bourgogne (Saône-et-Loire) verzeichnet zu haben. Mit 93 Jahren hoch betagt und vielfältig vorerkrankt, hatte er dieser letzten Herausforderung nichts mehr entgegenzusetzen (Abb. 1).

Jean Combier zählt zu den großen Forscherpersönlichkeiten der französischen Urgeschichtsforschung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit den 1950er Jahren hat er als späterer Direktor der Denkmalpflege und des CNRS eine riesige Region im Osten Frankreichs geprägt, die von der Ardèche im Süden bis in die Bourgogne im Norden reicht. Jean Combier war ebenfalls lange Jahre Präsident der Académie de Mâcon. In chronologischer Hinsicht dem Paläolithikum verpflichtet, hat er aber durchaus auch Verdienste in den Bereichen des Neolithikums und der Metallzeiten, der Mittelalterarchäologie und der Volkskunde. In meiner französischen Arbeitsgruppe geht der Scherz um, dass es sehr viel einfacher sei, diejenigen prähistorischen Fundstellen der Region aufzulisten, an denen er nicht aktiv war, als solche, über die er geforscht hat.

Angesichts dieses immensen Schaffens fällt es schwer, einzelne Projekte besonders herauszugreifen, jedoch werden wir seine 1964 begonnenen Arbeiten zum Alt- und Mittelpaläolithikum in Orgnac 3 (Ardèche) nicht unerwähnt lassen dürfen. Die über eine umfangreiche Stratigraphie verfügende Fundstelle zeichnet sich durch ein sehr frühes Auftreten der Levalloismethode aus. Seine Arbeiten in der Ardècheregion fanden 1967 mit der Publikation seiner Dissertation einen ersten Höhepunkt. Besonders war Combier dort an der Höhlenkunst interessiert. Lange vor Entdeckung der Grotte Chauvet war er es, der diese Region als wichtiges Zentrum der Eiszeitkunst außerhalb der Dordogne etabliert hat. Combier war ebenfalls einer der ersten, der durch die 14C-Datierung eines stratifizierten Holzkohlerests eine absolute Alterseinstufung eines paläolithischen Höhlenkunstwerks, in diesem Fall der Höhle Tête-du-Lion in das Solutréen, vornehmen konnte. Von besonderer Bedeutung im Werk von Jean Combier waren seine Ausgrabungen in La Vigne-Brun bei Roanne, wo er von 1977–1983 die sicher bedeutendsten gravettienzeitlichen Behausungsgrundrisse West- und Mitteleuropas freilegen konnte, die allerdings weitgehend unpubliziert geblieben sind. Bewegen wir uns weiter in Richtung Norden, so stellt das Mâconnais einen weiteren besonderen Schaffensschwerpunkt dar. In Solutré konnte Combier nicht nur die frühen Arbeiten zusammenfassen, sondern selbst Grabungen leiten, die vielfache Erkenntnisse zu den Jagdpraktiken des Magdalénien erbrachten. In der Höhle Rizerolles I in Azé gelang ihm in einer methodisch erstklassig durchgeführten Ausgrabung der Nachweis des ältesten Siedlungsplatzes der Region, der, durch eine archaische Steinindustrie charakterisiert, in ein spätes Altpaläolithikum datiert.

Meine Arbeiten in Frankreich wurden erst durch Jean Combier ermöglicht, als er mich 1993 damit beauftragte, das von ihm in den 1960er Jahren notgegrabene endpaläolithische Inventar von Varennes-lès-Mâcon im Rahmen meiner Habilitationsschrift zu studieren. Seither verbinden mich mit Jean Combier als meinem väterlichen Freund und Mentor in Frankreich viele persönliche Begegnungen.

Auch in seinen letzten Lebensjahren bis ins hohe Alter war Jean Combier aktiv und versuchte, die bei ihm zu Hause gelagerten umfangreichen Sammlungsbestände in Teilen zu publizieren oder an Dritte zu delegieren. Bedauerlicherweise hat er es sich in seinem Spätwerk zur Hauptaufgabe gemacht, das hohe Alter der Kunstwerke der Grotte Chauvet in Frage zu stellen, was in großen Teilen unbegründet ist. Dass er sich im Zuge dieser Anwürfe auch dazu verstiegen hat, das aurignacienzeitliche Alter der Elfenbeinfiguren der Schwäbischen Alb anzuzweifeln, hat ihm leider Schaden zugefügt. Davon unbenommen, gilt es hier, eines großen Prähistorikers zu gedenken, der meinen Lebensweg entscheidend geprägt hat.

Neben diesem kurzen Nachruf bin ich als Combiers Nachfolger in der Académie de Mâcon dabei, mit den dortigen KollegInnen eine detaillierte Würdigung vorzubereiten.