Zusammenfassung
In einem archäologischen Experiment wurde die Hypothese getestet, ob sich der Nachbau eines Lochstabes aus Mammutelfenbein mit vier spiralförmigen Löchern, der 2015 in der Fundstelle Hohle Fels in Schelklingen ausgegraben wurde, zur Seilherstellung eignet. Dazu hat der Autor das Objekt mit Werkzeugen nachgeschnitzt, die entsprechende Geräte des Jungpaläolithikums zum Vorbild haben. Für die Seilherstellung wurden Lederschnüre verwendet, die als Faserbündel durch die vier Löcher geführt wurden. Die vier Litzen wurden jeweils verdreht und schließlich zu einem viersträngigen Seil verdrillt. Mindestens sechs Teilnehmer sind zur erfolgreichen Durchführung des Experiments notwendig. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Seilherstellung durch die Verwendung des Lochstabes möglich ist.
Zielsetzung
Ziel meines im Jahre 2020 durchgeführten Experimentes ist der Versuch zu testen, ob mittels eines Geräts aus Mammutelfenbein mit vier spiralförmigen Löchern drei- oder viersträngige Seile mit großem Querschnitt hergestellt werden können (vgl. Conard und Rots 2016), die in der Lage sind, Kräfte in der Größenordnung von 600 kg bis 1000 kg unter Spannung oder Aufhängung zu standzuhalten (ein aus 8 mm-Litzen gedrehtes Seil ergibt nach Fertigstellung ein Seil mit einem Querschnitt von 20 mm). Diese Leistungsschwankung der Zugkraft hängt von dem zur Herstellung des Seils verwendeten Material, der Länge der verwendeten Fasern und der Anzahl der Drehungen pro laufendem Meter der Litzen vor der Nutzung ab. Solche Seile sind von großer Wichtigkeit für die Herstellung bestimmter Fallen, Schlingen oder Aufhängungen von Jagdnetzen für große Tiere. Sie können auch bei Höhlenerkundungen für den Abstieg in Hohlräume verwendet werden. Derartige Seile sind für Nomadenvölker bei ihren Wanderbewegungen (mit Schlitten, Stangenschlitten, Tragevorrichtungen) unverzichtbar. Hier habe ich mir Anregungen für den Verwendungszweck von Seilen im Paläolithikum geholt.
Die Steinartefakte werden aus einer Rohmaterialknolle geschlagen und dann zu speziellen Werkzeugen umgearbeitet. Es gilt aber festzuhalten, dass Menschen, die es gewohnt sind, Feuerstein, Quarzit oder Obsidian zu verwenden, oft auch einfache Abschläge verwenden, um auf diese Weise Rohstoff einzusparen. Um das zu analysierende Elfenbeinobjekt zu rekonstruieren, musste ich unter Zuhilfenahme von Schlaggeräten aus Quarzit und Granit, Hirschgeweih und Buchsbaumholz sowie, für den indirekten Schlag, Punchen (Zwischenstücken) aus Elchgeweih Klingen, Stichel, Kratzer, Bohrer und Lamellen herstellen. Schäfte für Klingen, Lamellen oder Noailles-Stichel habe ich aus Hirschgeweih und Eschenholz gefertigt. Dabei verwendete ich prähistorischen Kleber aus Kiefernharz, Bienenwachs oder Birkenpech. Der verwendete Feuerstein stammt aus Châteauneuf-les-Martigues, aus Sault und aus Murs (Abb. 1).
Bearbeitung eines Stoßzahns
Das Vorbild des Werkzeugs ist der Lochstab aus dem Hohle Fels bei Schelklingen (Südwestdeutschland), der 2015 dort ausgegraben wurde (Conard und Malina 2016 mit Farbfoto). Die Rohform des Werkzeugs wird aus dem mesialen Teil eines Stoßzahnes geschnitten, um ein Instrument von 25 mm Dicke und 225 mm Länge zu erhalten, das nach Abschluss der Vorbereitungsarbeiten und des Polierens die Herstellung eines Faksimiles in der gleichen Größe wie das Original ermöglicht, das für nachfolgende Experimente verwendet werden kann (Abb. 2.1).
Man muss den Stoßzahn für mehrere Wochen in Wasser tränken, bevor man mit der Arbeit beginnen kann. Der mit Wasser vollgesogene Stoßzahn lässt sich leichter bearbeiten, besonders das Schneiden und Bohren ist einfacher in diesem Zustand. Die ersten Arbeiten werden an den Längsseiten durchgeführt: zwei parallele Rillen im Abstand von 20 mm werden auf jeder Seite des mesialen Teils des Stoßzahns über 300 mm eingeschnitten, dann werden sie zur Mitte des Stoßzahns hin vertieft. Die Rillen werden um 10 mm vertieft, und zwei Elfenbeinstäbe werden herausgehebelt, die zur Herstellung von Nadeln oder Pfriemen verwendet werden können. Nach dem Heraushebeln der Elfenbeinstäbe werden geschäftete Noailles-Stichel verwendet, um die erhaltenen Rillen einzutiefen. Die beiden auf diese Weise auf jeder Seite des Stoßzahnes erhaltenen tiefen Rillen ermöglichen die spätere Trennung des Elfenbeinrohlings in der Mitte (Abb. 2.2).
Der zweite Schritt ist das Herauslösen des Rohlings aus dem Stoßzahn. Dazu werden gekerbte Klingen eingesetzt. Diese werden wie Sägen verwendet, um die Einkerbungen noch weiter einzutiefen. Außerdem werden geschäftete Stichel wie Meißel mittels indirekten Schlages verwendet, um die Kerben in der gleichen Vorgehensweise wie zuvor einzutiefen. Das mesiale Teilstück des Stoßzahns, das etwa 300 mm misst, wird distal und proximal vom übrigen Stoßzahn getrennt, indem es durchgesägt wird. Die beiden Längsrillen an diesem Stoßzahnstück werden weiter in Richtung Mitte vertieft, bis sie verbunden sind. Für diese Arbeit werden Hebel oder Knochenkeile verwendet (Abb. 2.3).
Das Werkzeug wird auf einem Quarzitschleifstein mit Wasser poliert. Zuerst wird Feuersteinpulver hinzugefügt, um das Objekt zu formen; danach wird nur die Quarzit-Oberfläche für das abschließende Polieren verwendet. Das Bohren der Löcher erfolgt nach der beidseitigen Festlegung der Bohrlöcher mit Feuersteinspitzen, die auf Schäften montiert sind, welche auf dem Oberschenkel gerollt werden, wobei das zu bohrende Teil in der Achse gehalten wird und man gleichzeitig einen ausreichenden Druck aufrechterhält (Abb. 2.4). Damit kann das Werkzeug effizient genutzt werden, ohne die Rotation zu blockieren. Dieselbe Vorgehensweise wird auf der gegenüberliegenden Seite verwendet, um die Löcher zusammentreffen zu lassen. Nach Abschluss der Bohrung werden die erhaltenen Löcher so aufgebohrt, dass sie jeweils einen Lochdurchmesser von zehn Millimeter für alle vier Perforationen aufweisen.
Der heikelste Arbeitsschritt besteht darin, das Gewinde im Loch selbst auf einer Dicke von 15 mm mit sehr feinen, auf Eschenholzstangen geschäfteten Spitzklingen auszuführen (Abb. 2.5) dies ist in der Tat nicht einfach durchzuführen.
Wir sehen auf den Vergrößerungen der Bilder, dass die Rillen der Gewinde geneigt sind und keine offensichtlichen Benutzungsspuren aufweisen (Abb. 3). Daraus kann ich schließen, dass entweder das Objekt nach seiner Herstellung nur wenig benutzt wurde oder das bearbeitete Material besonders weich und nicht sehr abrasiv war.
Rohstoffe für die Herstellung von Seilen
Welche Materialien können für die Herstellung der Seile verwendet werden? Das Biotop, in dem die wollhaarigen Mammuts lebten, sind Grasebenen mit Tundra-Vegetation. In den Tälern und entlang der Flüsse gab es kleine Bäume wie Silberbirke, Nadelbäume und verschiedene Sträucher. Der Fundort des zu untersuchenden originalen Objektes befindet sich auf der Schwäbischen Alb, im Hohle Fels. Die kalibrierten C14-Daten für die aurignacienzeitlichen Schichten werden zwischen 34.000 und 42.000 Jahren BP angegeben (z.B. Bataille und Conard 2018). Elfenbein liefert meist keine perfekten Daten, wenn das Kollagen nicht gut erhalten ist. Außerdem ist das Artefakt selbst zu kostbar, um für eine Probe Material zu entnehmen. Die Daten stammen daher von den Knochen mit Schnittspuren oder von Holzkohle und vergesellschafteten Artefakten. Die archäologische Schicht, aus der das Objekt stammt, ist AH Va, die beinahe tiefste aurignacienzeitliche Schicht im Tunnelbereich der Höhle. Dies ist der Bereich des täglichen Lebens mit Tausenden von Stein- und Knochenartefakten, darunter Überreste von Mammuten, vor allem Elfenbein. Die Schwäbische Alb ist sehr reich an Aurignacien-Fundstellen mit Mammutresten (Schädel, Rippen, große Stoßzahnteile und Knochen von Jungtieren). Die Fauna, die diese Gebiete damals mit dem Menschen teilte, ist die der kalten Regionen: Rentiere, Pferde, Steppenbisons. Diese Tiere lebten auf großen Grasebenen mit wenig Baumvegetation. In solchem Zusammenhang ist es schwierig, Pflanzenfasern wie Flachs, Hanf oder Linde zu finden. Die angesprochenen Pflanzen sind im Aurignacien der Schwäbischen Alb nicht zu erwarten. Denkbar wäre aber die Verwendung von Mammuthaaren. In wärmeren Perioden wird die Verwendung von Pflanzenfasern zur Herstellung von Seilen wahrscheinlicher.
Ich habe in meinem Experiment beide Möglichkeiten für die Herkunft der Materialien – Pflanze und Tier – in Betracht gezogen.
Was die Pflanzen betrifft, so werde ich während des Frühjahrs Hanf, aber keinen Flachs verarbeiten können. Bei Linde werde ich durch die Menge begrenzt (6 Monate Vorbereitungszeit) und könnte nur eine sehr kurze Probe mit drei Strängen herstellen. Bei tierischen Materialien werde ich Leder, Rosshaar und Eingeweide ausprobieren (leider stehen keine Mammuthaare zur Verfügung; die äußere Schicht der Deckhaare ist manchmal bis zu 1 m lang), und ich werde versuchen, die Deckhaare durch Rosshaar zu ersetzen. Daher bin ich bei meinem Experiment durch den Mangel an mehreren Rohstoffen eingeschränkt.
Die Nützlichkeit des Schraubengewindes innerhalb jeder Durchlochung verstand ich während der Versuche (Abb. 4). Ich bemerkte, dass die verwendeten Fasern, tierische oder pflanzliche, während des erzwungenen Durchgangs durch die Löcher geordnet und aufeinandergepresst wurden und als gekämmt herauskamen. Sie begannen ihre Drehungen mit der durch den Zug des Feststellers erzwungenen Bewegung gegen den Uhrzeigersinn.
Die Bedingungen der experimentellen Durchführung
Für die Durchführung des Experiments sind folgende Bedingungen wichtig:
- Nicht weniger als sechs Personen führen die Arbeiten aus, nämlich vier zum Verdrehen, eine für jeden Strang und zwei für die Vorbereitung der Faserbündel.
- Eine Stütze für das Elfenbeinstück: eine Strauchgabel mit zwei tiefen Einschnitten, um das Werkzeug in einer Höhe von etwa 1,30 m am Rand zu befestigen, wobei das Stück horizontal montiert wird und die Löcher zu den Helfern zeigen.
- Trockenes Wetter, keine Restfeuchtigkeit am Morgen, freier Raum um die Werkzeugauflage.
- Perfekte Koordination der Ausführung der Aufgaben unter den Anweisungen des Leiters des Experiments.
Umsetzung
Nachdem in jedes Loch ein zuvor vorbereitetes Faserbündel eingeführt und die Dicke der Bündel überprüft wurde (der Durchgang durch die Löcher muss einen Widerstand bieten), wird das Ende jedes Strangs in den Schlitz einer Rolle aus Holz eingeführt und fixiert (Abb. 5). Um die Fasern in der Mitte des Holzwerkzeugs vollständig zu befestigen, wird eventuell prähistorischer Kleber verwendet oder, durch Befeuchten der Rolle, das Holz zum Aufquellen gebracht. Die Helfer positionieren sich selbst, indem sie ihre Position überprüfen (20°-Winkel zwischen den Seilen), der Abstand zwischen ihnen wird sich vergrößern, wenn sie sich rückwärtsgehend entfernen. Der Lochstab wird auf seinem Träger fixiert, ein Zugversuch wird durchgeführt, die Helfer positionieren sich am Ursprung der Löcher, um die vorbereiteten Faser-Bündel zu lenken. Zwei Helfer halten jeweils zwei der losen Stränge auf der anderen Seite des Lochstabes fest.
Auf Anweisung des Leiters des Experiments machen die vier Helfer eine erste Drehung gleichzeitig gegen den Uhrzeigersinn mit ihren Rollen mit beiden Händen. Es wird geprüft, ob alles gut funktioniert, dann bewegen sich die Helfer immer gleichzeitig, um die gleiche Anzahl von Umdrehungen zu erhalten, in ihren jeweiligen Achsen zurück; die nächste Prüfung erfolgt nach 10 Umdrehungen. Es ist unerlässlich, die Spannung der verdrillten Litzen zu überwachen, um zu verhindern, dass sie sich verheddern. Prüfung bei 50 und 100 Umdrehungen: die Helfer müssen sich auf einem Kreisbogen mit dem Lochstab als Mittelpunkt befinden. Durch das Verdrehen der Stränge wird die Länge um ein Viertel der vorbereiteten Bündel verringert. Wenn der gewünschte Abstand erreicht ist, sind die Helfer weit voneinander entfernt, sie bleiben in dieser Position und halten die Spannung aufrecht.
Der Leiter knotet nun die lockeren Stränge knapp neben dem Lochstab zusammen. Anschließend kann der Lochstab aus seiner Fixierung gelöst werden. Dabei muss die Spannung der Litzen aufrecht gehalten bleiben. Nun wird der Lochstab im Uhrzeigersinn gedreht, um die Litzen vollständig zusammenzuführen; so entsteht ein viersträngiges Seil. Der Mitarbeiter, der den Lochstab festhält, bewegt sich nicht vom Fleck. Durch die Drehbewegung bewegen sich die Drehenden jedoch auf den Mitarbeiter, der den Lochstab hält und aufeinander zu; sie müssen den Winkel von 20° zueinander halten (Abb. 6). Sie treffen sich, sobald das Seil gedreht ist, am Ende der Arbeitsschritte. Das Seil wird am Ende abgebunden, um ein Aufdrehen des Endes zu verhindern. Alles, das noch zu tun bleibt, ist, den Lochstab durch Lösen der Verriegelungsknoten zu lösen und eine Abbindung oder, noch besser, einen Endspleiß zu erzeugen.
Schlussbemerkung
Die Verwendung dieses Lochstabes eignet sich gut zur Herstellung großer Seile, die sehr stark und widerstandsfähig gegen Zeit und Witterung sind und daher besonders nützlich für nomadische Jäger und Sammler. Sie sind in der Ethnologie zum Fangen von Wildtieren oder zum Fesseln von Haustieren (z.B. Céden camarguais) nachgewiesen. Prähistorische Menschen haben wahrscheinlich seit Homo erectus elastische Bindungen benutzt, z. B. bei dem Bau von Flößen. Die berühmten Spuren von Seilen aus der Lascaux-Höhle, die Abbé Glory beschrieb, zählen zu den frühen Belege für Seile im Jungpaläolithikum.
Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche: Elisabeth Penzel.
Wissenschaftliche Überarbeitung: Sibylle Wolf und Benjamin Schürch.
Literatur
Bataille, G. und Conard, N. J. 2018: Blade and bladelet production at Hohle FelsCave, AH IV in the Swabian Jura and its importance for characterizing the technological variability of the Aurignacian in Central Europe. PLoS ONE 13(4): e0194097.
Conard, N. J. und Malina, M. 2016: Außergewöhnliche neue Funde aus den aurignacienzeitlichen Schichten vom Hohle Fels bei Schelklingen. Archäologische Ausgrabungen Baden-Württemberg 2015, 62–66.
Conard, N. J. und Rots, V. 2016: Fiber technology, rope-making, textiles and the Lochstäbe from the Aurignacian of the Swabian Jura. Proceedings of the European Society for the study of Human Evolution 5, 67.