Die Exkursion 2022 umfasste thematisch die menschliche Evolution vom Paläolithikum bis ins Neolithikum. Sie ermöglichte uns weiterhin einen Einblick in die Zeit der Germanen, der Wikinger und die der Slawen im frühen Mittelalter. Wir besichtigten archäologische Museen, Freilandfundplätze bzw. Freilichtmuseen und die Schöninger Grabung.
1. Tag, Sonntag, 25.09.2022: Archäologisches Forschungszentrum und Museum für Menschliche Verhaltensevolution Monrepos.
Frühmorgens um 05.45 Uhr starteten wir in Blaubeuren in Richtung Norden zu unserem ersten Ziel, dem Schloss Monrepos bei Neuwied, in welchem das Archäologische Forschungszentrum und Museum für Menschliche Verhaltensevolution, eine Einrichtung des Leibniz-Zentrums für Archäologie (ehemaliges Römisch-Germanisches Zentralmuseum), untergebracht ist.
Dr. Frank Moseler führte uns durch die Ausstellung „menschlICHes VERSTEHEN“ (vgl. Gaudzinski-Windheuser und Jöris 2022). Ziel des Museums ist Wissensvermittlung zum Verständnis der wesentlichen Verhaltensmerkmale des heutigen Menschen, deren Wurzeln bis in die Alt- und Mittelsteinzeit, vor 2.500.000 bis ca. 7.500 Jahren, zurückreichen. Ein Forschungsschwerpunkt ist die Entwicklung von Ernährung, Mobilität, Siedlungsverhalten und Landschaftsnutzung der alt-und mittelsteinzeitlichen Jäger und Sammler. Das Thema Mensch und die Evolution seines Verhaltens wird anhand von 2000 Objekten chronologisch dargestellt und dabei in den Kontext von Klima und den damit vorhandenen Ressourcen gestellt. Die verschiedenen Epochen werden mittels anschaulicher Begriffe beschrieben:
Älter als 1.600.000 Jahre: „Naturwesen“
Der Ursprung der Menschen der Gattung Homo vor ca. 2,6 Millionen Jahren lag in Afrika. Die menschlichen Fossilien zeigen eine Körpergröße von 1,4 m und ein kleines Hirn. Es gab Parallelevolutionen, die jedoch z.T. in einer Sackgasse endeten. Zu nennen sind die grazileren Vertreter der Gattung Australopithecus und die robusteren, so genannten Nussknacker-Menschen mit sehr großem Kiefer, die unter der Gattung Paranthropus zusammengefasst werden. Verglichen mit Tieren kann der Mensch weder schnell rennen noch gut sehen, riechen oder hören, ohne Waffen war er Beute für alle Jäger. Zum Überleben benötigte er Hilfsmittel; es wurden über 2.500.000 Jahre alte Steinwerkzeuge gefunden.
Vor 1.600.000–300.000 Jahren: „Wunderkinder“
In dieser Zeit wurden technologische Erfindungen gemacht. Der Mensch fertigte Faustkeile, Spaltkeile und Schaber an, die als Prototypen für 1,5 Millionen Jahre Werkzeugherstellung gelten. Die Entwicklung der Speertechnologie vor 300.000 Jahren (Fundort Schöningen, s. Tag 7) ermöglichte die Großwildjagd. Mit dieser neuen Technologie konnten die Ressourcen an jagdbaren Tieren besser genützt werden. Der Mensch benötigte dazu Neugierde, Ehrgeiz und Mut. Ein wesentlicher Fortschritt war die Beherrschung des Feuers, denn die gegarte und leichter verdauliche Nahrung bewirkte eine signifikante Vergrößerung des Hirnvolumens. Mit Waffen und nächtlichem Feuer konnte sich der Mensch gegen Raubtiere schützen. Das Überleben aller Gruppenmitglieder war wichtig, ein soziales Verhalten entwickelte sich und das Wissen wurde an die nächsten Generationen weitergegeben.
Vor 300.000–40.000 Jahren: „Rudelmensch“, z.B. der Neandertaler
Die Knochen von Waldelefanten aus Lehringen und Gröbern zeigen zwar keine Schnittspuren, doch wurden sie jeweils mit Steinartefakten vergesellschaftet aufgefunden; in Lehringen fand sich zusätzlich eine Lanze aus Eibenholz. Daraus wird auf die Jagd im Jägerteam geschlossen. Gemeinsame Jagd erfordert Kommunikation, also Sprachfähigkeit. Das Zungenbein des Neandertalers aus der Kebara Höhle, Mount Carmel, ist dem des modernen Menschen ähnlich und könnte als Beweis für die Sprachfähigkeit des Neandertalers gelten. Das Skelett „Der Alte von La Chapelle“ weist nur noch wenige Zähne auf und zeigt verheilte, schwere Verletzungen und krankhafte Veränderungen wie z.B. einen deformierten Unterarmknochen. Dieser Mensch konnte nur mit Hilfe seiner Gruppe überleben und trotz seiner schweren Beeinträchtigung alt werden. Die Neandertaler weisen somit eine empathische Entwicklung auf, Pflege und Fürsorge ihrer Mitmenschen waren ihnen wichtig, auch bestatteten sie ihre Toten. Sie fertigten sorgfältig bearbeitete Faustkeile, wobei die Jagd dies nicht erforderte. Auch wenn sie noch keine figürliche Kunst kannten, so hatten sie doch einen Sinn für Ästhetik.
Vor 40.000–14.000 Jahren: „Gesellschaftstier muss schön sein“, Homo sapiens sapiens
Der anatomisch moderne Mensch, der vor gut 40.000 Jahren nach Mitteleuropa einwanderte, entwickelte eine „Weltenvorstellung“. Die Darstellungen von Tier-Mensch-Mischwesen jenseits unserer Sinneswahrnehmung können als Beleg für eine spirituelle Vorstellung und vielleicht auch als erste Religionsäußerung betrachtet werden, was eine komplexe Sprache erfordert. Fein gearbeitete figürliche Anhänger und durchbohrte Muschelschalen können als persönliche Amulette oder als Zeichen einer Gruppenzugehörigkeit gedeutet werden. Bereits zum Ende der Eiszeit bestand ein Kulturaustausch über große Entfernungen. In den späteiszeitlichen Siedlungsplätzen Gönnersdorf und Andernach im Neuwieder Becken, die in das so genannte Magdalénien des Rheinlandes vor ca. 16.000 Jahren gehören, wurden Schieferplatten mit eingeritzten Tierzeichnungen und abstrahierten Darstellungen tanzender Frauen gefunden. Abstrahierte Frauenstatuetten sind vom Atlantik bis nach Sibirien zu finden. Sie sind Belege für den kulturellen Austausch über große Distanzen. Schmuckschnecken aus dem Mittelmeerraum, Wal- und Robbenknochen aus dem hohen Norden und der Feuerstein aus großer Entfernung bezeugen weiträumige Verbindungen. Die Toten wurden mit rötelhaltiger Erde bedeckt und in den Siedlungen mit Grabbeigaben bestattet. Die mit handwerklichem Geschick hergestellten großen exzellenten Blattspitzen aus dem Solutréen des französischen Fundplatzes Volgu dienten wohl als Prestigeobjekte.
Vor 14.000–8.000 Jahren: Platzhirsche, Beginn der Warmzeit des Holozäns
Das Ende der Weichsel-Eiszeit hatte eine deutliche Klimaerwärmung zur Folge. Flora und Fauna veränderten sich drastisch, die Mammutsteppe verschwand, und die Großsäuger der Eiszeit wanderten nach Norden. Schmelzwasser der Gletscher bildete Seen und Flüsse, Fische und Krebse erweiterten das Nahrungsangebot des Menschen. Busch- und Baumarten bildeten lichte Wälder, gejagt wurden nicht mehr Rentier, Pferd und Mammut, dafür Elch, Rotwild und Biber, nur gelegentlich noch das Pferd. Dies erforderte neue Waffen, Pfeil und Bogen wurden entwickelt, Fischreusen wurden hergestellt. Der Mensch nützte die lokalen Ressourcen, die ihm die Natur ganzjährig bot; das Nahrungsangebot war groß. Es entstand eine gebietsbezogene Besiedlung, ein Übergang zur Sesshaftigkeit. Wintervorräte und erste Domestizierung sind Vorboten von Besitz (Stichwort „Neolithische Revolution“, ein Begriff, über den sich streiten ließe). Eigentum muss geschützt werden. Dies führt zu Konflikten, und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Gruppen waren die Folge. Die Gewaltspirale begann ca. 8.000 v.Chr. Es finden sich erste Hinweise auf entpersonalisierte Gewalt wie ‚Massengräber‘ (mesolithische Schädelnester der Großen Ofnet-Höhle), bzw. Belege für kriegerische Handlungen (Massengrab von Halberstadt aus der späten Linearbandkeramik). Schon bei viel älteren Skelettfunden wurden tödliche Verletzungen durch menschliche Aggression nachgewiesen, jedoch war bis dahin die Tötung einer Menschengruppe von Kindern, Frauen, Männern und Alten unbekannt.
Nach dieser umfassenden und informativen Führung fuhren wir nach Düsseldorf weiter. Wegen eines sehr langen Staus auf der A3 erreichten wir das Hotel mit großer Verspätung, und konnten wie geplant noch unser Abendessen einnehmen – ein sehr langer Reisetag, insbesondere für den Busfahrer.
2. Tag, Montag, 26.09. 2022: Neanderthal Museum und der neu errichtete Turm „Höhlenblick“ am Fundort im Neandertal in Mettmann nahe Düsseldorf
Bilder der früheren Düsseldorfer Malerschule zeigen das Neandertal als ein tief eingeschnittenes Tal im Karstgestein mit Höhlen in den 50 m hohen Felswänden. Durch den Abbau des Kalksteins wurden die Klippen abgetragen und die Höhlen zerstört. 1856 wurden in einem damaligen Steinbruch 16 Knochen gefunden, die zuvor aus der Kleinen Feldhofer Grotte achtlos ausgeräumt worden waren, die ersten als solche erkannten Knochenfunde des Neandertalers. Prof. Johann Carl Fuhlrott identifizierte damals die Knochen als zu einem Frühmenschen gehörig, für den berühmten Pathologen Prof. Rudolf Virchow waren es jedoch lediglich die Knochen eines kranken Menschen, so dass über viele Jahre die Forschung blockiert wurde.
Neanderthal Museum
Unweit des Fundortes befindet sich das Neanderthal Museum. Die Führung mit Dr. Till Knechtges startete mit den Kopien der 16 Fossilien des Neandertalers; die Originale sahen wir am letzten Tag im Landesmuseum Bonn. Eine große Sanduhr symbolisiert den Zeitraum der menschlichen Evolution und führt den Besuchern vor Augen, wie kurz die Phase des modernen Menschen im Gesamtverlauf dieser Zeitspanne ist. Die Evolution des Menschen wird chronologisch anhand verschiedener Schädelformen und rekonstruierter Ganzkörper-Modelle aufgezeigt. Aus heutiger Sicht ist es ein Stammbusch mit vielen Verzweigungen, da verschiedene Menschenarten und auch -gattungen gleichzeitig existierten. So lebten in Ostafrika vor 2 bis 1,5 Millionen Jahren die Arten Homo habilis, Homo rudolfensis, Homo erectus/ergaster aus der Gattung Homo und Paranthropus boisei, eine Art der Gattung Paranthropus, nebeneinander. Die ältesten Homininen außerhalb Afrikas stammen aus Dmanisi in Georgien. Vor 1,6 Millionen Jahren breitete sich Homo erectus über Europa und Asien aus, und seit 1 Million Jahren beherrscht der Mensch das Feuer. Die meisten der bisherigen sehr alten Fossilienfunde stammen aus dem Grabenbruch in Ostafrika und aus Südafrika.
Das Körpermodell von Australopithecus sediba, einer Art der Gattung Australopithecus aus Südafrika, datiert auf 1,9 Millionen Jahre; die langen Arme weisen auf Baumbewohner und gute Kletterer hin, die Form der Hüftknochen ermöglichte jedoch bereits aufrechtes Gehen. Weitere Modelle zeigen den frühen Homo sapiens aus dem Jebel Irhoud in Marokko (300.000 Jahre), den Homo neanderthalensis aus Gibraltar (40.000 Jahre) und den zeitgleichen Homo sapiens aus der Peştera cu Oase in Rumänien (40.000 Jahre). Der Körperbau des Neandertalers variierte, er war klein, stämmig und muskulös im kalten Europa und größer und schlanker im wärmeren Palästina.
Für die Interpretation der Fossilien ist die Paläogenetik wichtig. Das Kern-Genom des Neandertalers konnte 2010 sequenziert werden. Die Funde südlich der Sahara weisen keinen Anteil von Neandertaler Genen auf. Die heutigen Menschen außerhalb des subsaharischen Afrikas haben ca. 2 % Neandertaler-Gene. Diese beeinflussen unter Anderem das Immunsystem, die Dicke der Epidermis und die Sprachfähigkeit (FOXP2-Gen). Die Paläogenetik ermöglicht Aussagen über Wanderbewegungen. Genetische Untersuchungen von mit dem Neandertaler zeitgleichen Funden aus der Denisova-Höhle im Altai Gebirge weisen auf eine andere Menschenart in Asien, den Denisova-Menschen hin. Die nur beim Denisova-Menschen nachweisbare Variante des Gens EPAS1 bewirkt eine verbesserte Sauerstoffaufnahme und damit u.a. die Anpassung der Tibeter, die Gene des Denisova-Menschen in sich tragen, ans Hochgebirge.
Dr. Rick Springer führte uns durch die Sonderausstellung „CATS Eiszeitliche Jäger“ mit Schwerpunkt Homotherium, eine Gattung der ausgestorbenen Säbelzahnkatzen. Diese sind nur durch ihre Zähne definierbar, denn ihre Knochen ähneln denen anderer Großkatzen, z.B. denen des heutigen Löwen. In der Fundschicht der Schöninger Speere wurden Fossilien dieser Säbelzahnkatze gefunden. Mit den gebogenen, sehr langen Eckzähnen und der weiten Maulöffnung konnten das Genick bzw. die Halswirbel der Beutetiere durchgebissen werden. Zwischen 300.000 und 100.000 Jahren vor heute gab es einen Wechsel in der Population von der Säbelzahnkatze zur Großkatze, dem Höhlenlöwen. Fossilien der Säbelzahnkatze wurden in den älteren Fundschichten und die des Höhlenlöwen in den jüngeren, darüberliegenden, gefunden. Sie lebten in Europa vor 5 Millionen Jahre bis zum Ende der Eiszeit.
Aussichtsturm „Höhlenblick“
Nach dem Museumsbesuch führte uns Frau Dr. Bärbel Auffermann auf kurzem Spaziergang zum Fundort des Neandertalers und wir konnten noch vor der offiziellen Eröffnung den neu errichteten Aussichtsturm besteigen. Die Plattform befindet sich in 20 m Höhe, dies entspricht der Lage der einstigen Kleinen Feldhofer Grotte. Es werden noch Fernrohre zur Projektion eiszeitlicher Szenen installiert. Das Dach stellt die überdimensionale Schädelkalotte des Neandertalers dar (Abb. 1).
Auf der 4,5-stündigen Weiterfahrt zu unserem Hotel in Hamburg-Harburg konnten wir die umfangreichen Informationen des Tages sortieren.
3. Tag, Dienstag, 27.09.2022: Archäologisches Museum Hamburg und Rentierjäger-Kulturen im Ahrensburger Tunneltal
Am Vormittag besuchten wir das Archäologische Museum Hamburg-Harburg und am Nachmittag das Ahrensburger Tunneltal, wo die bisher ältesten Pfeile der Menschheit ausgegraben worden waren.
Archäologisches Museum Hamburg-Harburg
Dr. Michael Merkel führte uns durch die Ausstellung „Archäologie erleben“. In einem großen Raum wird Geschichte von der Eiszeit bis zur Zeit der Merowinger inszeniert, so dass Kinder und Jugendliche Lust bekommen, sich umzusehen. Die Ausstellung ist gegliedert in die Bereiche Naturlandschaft, Werkstoff, Nahrung, Innovation, Gewalt, Tod und Mobilität und umfasst dazu die jeweils passenden Fundstücke des Alt-, Mittel- und Jungpaläolithikums, der Bronzezeit, Vorrömischen Eisenzeit, Römischen Kaiserzeit, Zeit der Völkerwanderung, des Mittelalters bis in die Neuzeit.
Rentierjägerkulturen im Ahrensburger Tunneltal
Nach der Mittagspause im Museumsrestaurant fuhren wir zum Ahrensburger Tunneltal. Im Regen war der Weg etwas schwierig, und einige Teilnehmer verzichteten vorsichtshalber auf die Wanderung und besuchten stattdessen das Ahrensburger Schloss. Die Umweltpädagogin Frau Svenja Furken vom IG Tunneltal führte uns auf dem Lehrpfad durch das Naturschutzgebiet Tunneltal. Der Lehrpfad startet mit einer schwimmenden Brücke über das Moor. Wieder auf festem Grund, ging es vorbei am Burghügel und den Resten von Graben und Wallanlage der Burg Arnesvelde, die im 11. Jahrhundert erbaut und bis ins 16. Jahrhundert genützt wurde.
Das Tunneltal wurde durch Schmelzwasser unter dem Inlandeis gebildet. Die Schmelzwässer erodierten tief in den Untergrund und hinterließen nach dem Rückzug der letzten Vereisung am Ende der Weichsel-Kaltzeit, eine schmale längliche Rinne, in deren geschützter Lage sich Eisreste, so genanntes Toteis, erhalten konnte (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ahrensburger_Tunneltal). Durch das langsame Abschmelzen des Toteises entstand im Tunneltal ein langgestreckter Rinnensee. Das von Tundra bedeckte Flachland war der Lebensraum der Rentiere. Der Rinnensee bildete für Rentierherden auf ihren jährlichen Wanderungen eine Barriere, und die auf Rentierjagd spezialisierten Wildbeuter Gruppen nutzten diesen Engpass zur saisonalen Jagd. Diese saisonale Besiedlung wird als Hamburger Rentierjägerkultur (ca. 12.700 bis 11.900 v.Chr.) bezeichnet.
Mit zunehmender Erwärmung (vor allem im Allerød-Interstadial) änderten sich die naturräumlichen Gegebenheiten. Gehölze und lichte Birken- und Kieferwälder breiteten sich großflächig aus. Die Rentiere zogen nach Norden und Rotwild wanderte ein, es veränderten sich die Jagdmethoden und die Jagdwerkzeuge. Die archäologische Leitform dieser Kulturgruppe ist einem zum Anspitzen von Federkielen verwendeten Messer ähnlich, dem so genannten Federmesser, daher die Benennung Federmesserkultur (ca. 12.000 bis 10.800 v.Chr.).
Bedingt durch einen scharfen Kälterückfall, die Jüngere Dryaszeit oder auch Jüngere Tundrazeit, änderte sich wiederum die Vegetation. Das Flachland wurde wieder der Lebensraum der Rentiere und der Rentierjäger. Die Werkzeuge und Jagdwaffen unterscheiden sich jedoch deutlich von denen der älteren Hamburger Rentierjägerkultur; neu war der Bogen als Jagdwaffe. In den Fundschichten vor allem in Stellmoor wurden vollständige Pfeile aus Kiefernholz mit gestielter Steinspitze gefunden. Es sind die bisher ältesten Pfeile der Menschheit. Damit ist eine neue Jagdtechnik, die gezielte Jagd auf einzelne Tiere, möglich. Die Funde umfassen z.B. Kratzer, Stichel und Stielspitzen sowie Mikrolithen für Pfeile und Speere. Diese Kulturerscheinung wird anhand ihrer Fundplätze im Ahrensburger Tunneltal als Ahrensburger Kultur (10.760 bis 9.650 v.Chr.) bezeichnet. Die ersten Ausgrabungen wurden in den 1930er Jahren von Alfred Rust in einem verlandeten spätglazialen Tümpel des Ahrensburger Tunneltales bei Stellmoor durchgeführt. Er erkannte hier bereits damals zwei Kulturschichten, die Ahrensburger Kultur und die ältere Hamburger Rentierjäger Kultur. Das Ahrensburger Tunneltal ist eines der bedeutendsten archäologischen Fundareale Schleswig-Holsteins.
Frau Svenja Furken zeigte uns einige Repliken, die der Experimentalarchäologe Harm Paulsen aus Feuerstein, der auch für die Originale verwendet wurde, hergestellt hatte. Wir führten mit einer von Herrn Paulsen nachgebauten Speerschleuder Wurfübungen durch.
Das Alternativprogramm zum Tunneltal ermöglichte einer kleinen Gruppe die Besichtigung des Schlosses Ahrensburg. Es wurde 1585 von Peter Rantzau, dem Ratgeber des dänischen Königs und Amtmann in Flensburg, erbaut und ist einer der wenigen erhaltenen Renaissance-Bauten in Schleswig-Holstein. Danach fuhr der Busfahrer die Schlossbesucher zum Ahrensburger Tunneltal, gabelte die durchnässten Tunneltalwanderer auf und brachte uns alle zum Hotel. In einem nahegelegenen Restaurant trafen wir uns zum wohlverdienten Abendessen.
4. Tag, Mittwoch, 28.09.2022: Die neolithischen Großsteingräber – Waabs-Karlsminde und Munkwolstrup im Arnkielpark
Bei leichtem Regen fuhren wir von Hamburg los, überquerten den Nord-Ostsee-Kanal und erreichten Schleswig am späten Vormittag. Es blieb etwas Zeit, um individuell die Stadt zu erkunden, um dann am frühen Nachmittag die neolithischen Großsteingräber im Kreis Rendsburg-Eckernförde zu besichtigen. In den Landschaften von Südschweden bis zum Harz ist das Geschiebe der Eiszeitgletscher zu finden. Die großen Findlinge (Megalithen) wurden im Neolithikum als Baumaterial für Großsteingräber verwendet. Von 3.500 bis 3.200 v.Chr. entstanden in diesem geographischen Raum 30.000 bis 40.000 Steingräber. Viele der Hügelkuppen in den Wiesen und Feldern sind abgeflachte bronzezeitliche Grabhügel; mit Laserscan konnten viele entdeckt werden. In Schleswig-Holstein wurden bisher 26 Gräber in verschiedenen Größen restauriert.
Großsteingrab Waabs-Karlsminde
Die Grabanlage wurde von der Arbeitsgemeinschaft für Vor- und Frühgeschichte der Heimatgemeinschaft Eckernförde e.V. unter Aufsicht des Landesamtes für Vor- und Frühgeschichte, Schleswig, von 1976 bis 1978 untersucht und danach restauriert (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Megalithanlage_von_Waabs-Karlsminde). Der Experimentalarchäologe Harm Paulsen erläuterte uns die damalige Fundsituation und die Restaurierung des 5.500 Jahre alten Megalithgrabes. Das rechteckige Großsteingrab befindet sich auf einer Anhöhe, es ist in Ost-West-Richtung angelegt, die Umfassung des 70 m langen Langbetts bestand aus 108 Megalithen, die in ein Fundament so eingesetzt wurden, dass sie eine einheitliche Höhe von ca. 1 m über dem Bodenniveau aufwiesen. Einige der Steine standen damals noch in Orginallage, die meisten jedoch lagen nach außen verkippt und waren von der herabgerutschten Hügelschüttung bedeckt. Im Langbett liegen quer zur Längsachse drei Dolmen (Grabkammern) mit Zugang im Süden. In den Dolmen wurden Flintartefakte, ein Feuersteinmesser, eine Bernsteinperle und Scherben eines Trichterbechers gefunden. Der mittlere Dolmen ist der älteste, er lag ursprünglich in einem Rundhügel, der später in das Langbett integriert wurde. Am Großsteingrab wurde das obligatorische Gruppenfoto aufgenommen (Abb. 2).
Die Hünengräber waren für die damalige Bevölkerung von großer Bedeutung, die Länge des Grabhügels zeugte vom Prestige der Sippe. Damit Grabhügel höher und gewaltiger wirkten, wurde ringsum die Erde abgetragen. Die Megalithgräber wurden in verschiedenen Epochen aufgesucht, benützt und ausgebaut. Am Fuß des Grabhügels wurden sechs Feuerstellen gefunden und Weihegaben wie sorgfältig gearbeitete, schwarzglänzende Situlen, die bewusst zerschlagen wurden, ein Beleg für die Nutzung des Großsteingrabes bis in die Eisenzeit. Die Vermutung liegt nahe, dass den Verstorbenen Trank- und Speiseopfer dargereicht wurden. Federmesser-Funde weisen darauf hin, dass vor ca. 12.000 bis 10.800 v.Chr. Menschen der damaligen Federmesser-Gruppen diese Anhöhe als Jagdstation nutzten.
Das Großsteingrab Munkwolstrup
Das Großsteingrab Munkwolstrup im Arnkielpark erreichten wir nach kurzer Busfahrt. Diese archäologische Freilichtanlage mit Info-Pavillon liegt im Ortsteil Munkwolstrup der Gemeinde Oeversee. Auf dem Gelände befinden sich Rundhügel und sechs Großsteingräber, die im 19. Jahrhundert als Steinbrüche genutzt und größtenteils zerstört wurden. Anfang der 2000er Jahre wurde der Arnkielpark eingerichtet, und 2003 war die Rekonstruktion der Großsteingräber abgeschlossen. Dazu wurden aus einer nahe gelegenen Kiesgrube 160 bis zu 3 Tonnen schwere Findlinge verwendet.
Herr Dr. Bernd Zich führte uns zum rekonstruierten 75 m langen Großsteingrab Munkwolstrup. In den Grabkammern der Langgräber wurden nicht die Leichname, sondern die Knochen der Verstorbenen niedergelegt. War eine Grabkammer voll, wurden Knochen und Gefäße ausgeräumt. Infotafeln erläutern die Veränderungen der Bestattungskultur in Schleswig-Holstein:
- ab 3.500 v.Chr.: Langsteingräber mit Grabkammern für die Verstorbenen einer Sippe
- um 2.000 v.Chr.: individuelle Grabstätten in Form von Sarggräbern, Holzkammern
- um 1.000 v.Chr.: Wiederbenutzung der Langsteingräber, Bronzezeit und Eisenzeit
- Zeitenwende: Urnengräber
- um 800 n.Chr.: Schiffsbeisetzungen – Wikingerzeit.
Unter dem Großsteingrab Munkwolstrup wurde im Übergang von der Ackerschicht zum Steinuntergrund das eingeritzte Gitter von Pflugspuren gefunden. Darüber befand sich Holzkohle, die auf etwa 3.600 v.Chr. datiert wurde und somit noch älter als die ersten Großsteingräber ist. Bei den Pflugspuren handelt es sich um einen der ältesten Nachweise des Pflugackerbaus in Nordeuropa. In Norddeutschland konnten die schlechten Böden für den Ackerbau nur extensiv genützt werden. Dies führte zur Erfindung des Pfluges, denn so konnten die großen Flächen von Ochsen gepflügt werden.
5. Tag, Donnerstag, 29.09.2022: Wikinger Museum Haithabu mit Freigelände und Museum Schloss Gottorf
An diesem Tag machten wir einen Zeitsprung in die nordische Eisenzeit und in das frühe Mittelalter Norddeutschlands, in die Wikingerzeit. Unser Fahrer hatte seinen verdienten Ruhetag und wir fuhren mit dem Linienbus von Schleswig zum Wikinger Museum Haithabu, das am Haddebyer Noor liegt, in unmittelbarer Nähe des historischen Siedlungsplatzes Haithabu. Zuvor kauften sich Einige noch schnell ein Regencape.
Wikinger Museum Haithabu
Die südlichste Siedlung der Wikinger war das 770 n.Chr. gegründete Haithabu (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Haithabu), einer der wichtigen Handelsorte im Ostseeraum und Hauptumschlagsplatz für den Fernhandel zwischen Skandinavien, Westeuropa, dem Nordseeraum und dem Baltikum. Es lag, durch einen halbkreisförmigen Erdwall vom Hinterland geschützt, an einer der Verzweigungen des Ostseearms Schlei, dem Haddebyer Noor, und konnte damals von der Ostsee mit Booten erreicht werden. Um 1066 wurde Haithabu endgültig zerstört. Herr Harm Paulsen führte uns durch das Museum und anschließend durch das Freigelände. Anhand des archäologischen Fundmaterials wird die Kultur der Wikinger gezeigt. Für die Wikinger bedeutete der Tod eine Reise in eine andere Welt. Die Toten wurden sowohl in Booten als auch in Holzkästen bestattet. Es wurden ihnen Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Statussymbole und Luxusartikel mitgegeben. Die reichen Grabfunde zeigen das künstlerische und handwerkliche Geschick der Wikinger, z.B. aus Knochen geschnitzte und verzierte Kämme, kleine bunte Glasperlen und Glasringe, fein ziselierte gegossene Fibeln und reich verzierte Gürtel aus Bronze und Waffen mit kunstvoll gearbeiteten Griffen. Eine Kette aus Bergkristall und Karneol weist auf weite Handelsverbindungen hin; denn Karneol wurde nur im Kaukasus und in Vorderindien abgebaut. In der Schiffshalle ist das Wrack eines Kriegsschiffes zu sehen, und das spektakuläre Bootkammergrab gibt Einblick in die kostbare Bestattung eines mächtigen Kriegsherrn.
Entsprechend dem Fundmaterial wurden auf dem historischen Gelände von Haithabu sieben lehmverputzte Flechtwandhäuser und der Landesteg rekonstruiert sowie ein Bohlenweg zwischen den Häusern angelegt. In den Häusern werden verschiedene Alltagsszenen nachgestellt, wie z.B. ein lehmgemauerter Backofen, Speisegeschirr, Fischreusen, Fischnetze, Körbe und vieles mehr. Danach fuhren wir mit dem Linienbus zurück nach Schleswig ins Museum Gottorf.
Museum für Archäologie im Schloss Gottorf: Nydamboot und Archäozoologie
Frau Dr. Mara Weber und Herr Dr. Andreas Rau führten uns zum Nydamboot in der ehemaligen Exerzierhalle des Schlosses. Es wurde 1863 von Conrad Engelhardt im Nydam-Moor, einem ehemaligen See in Dänemark, gefunden. Er konservierte das 23 m lange Ruderboot aus Eichenholz mit Alaun und Bienenwachs. Es hatte 28 Ruderplätze, 3 m Breite und einen Mitschiff-Tiefgang von 3,1 m. Aus Mangel an Langholz wurden die Holzbretter der Bordwand durch Verplattung aus zwei Planken zusammengesetzt. Das Alter wurde dendrochronologisch auf 320 n.Chr. bestimmt und ist damit der nordischen Eisenzeit, der Germanenzeit, zuzuordnen. Bei Nachgrabungen wurden Teile eines Ankers und das Geschirr der Mannschaft geborgen. Das Boot war ein Kriegsschiff und für den Truppentransport einer Mannschaft optimiert. Es wurde im damaligen See absichtlich versenkt, ein Dankopfer an die Götter für den Sieg über die Feinde. Dazu wurde das Boot von der Ostsee über Land zum Nydam-See transportiert. Die Untersuchung des Fahrverhaltens an einem Modell im Maßstab 1:4 ergab, dass die Form auch starken Strömungen Stand hält und Geschwindigkeiten bis zu 8,7 Knoten möglich waren, also ein schnelles hochseetüchtiges Kriegsschiff vorliegt. Bisher ist kein Vergleichsboot bekannt.
Die Archäozoologie mit Deutschlands zweitgrößter Sammlung befindet sich in einem Nebentrakt des Schlosses. Dr. Ulrich Schmölcke und Dr. Oliver Grimm erklärten uns ihre Forschungsergebnisse. Aus der Wikingerzeit stammen 28 Schienbeinknochen von Schweinen, die alle an der gleichen Stelle gebrochen waren. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Tiere als lebender Proviant auf Schiffen mitgenommen und ihnen dazu die Beine gebrochen wurden. In Schleswig-Holstein wurden ca. 6.000 Jahre alte Pelikanknochen gefunden. Vermutlich sind einige Pelikane wegen eines Sturms nach Norden abgedriftet, denn die nächsten Pelikan-Kolonien waren damals auf dem Balkan zu finden. Da das Klima zu dieser Zeit wärmer war als heute, konnten sie im Norden durchaus längere Zeit überlebt haben. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Mensch-Tier-Beziehung in der Beizjagd, die sich ab 500 n.Chr. in Europa nachweisen lässt. Vogelknochen von Falken und Habichten finden sich in Frauen- und Männergräbern der Wikinger.
6. Tag, Freitag, 30.09.2022. Freilichtmuseum Groß Raden mit Ausstellung
Von Schleswig ging es frühmorgens weiter nach Mecklenburg-Vorpommern zum Freilichtmuseum Groß Raden, in die Zeit der Slawen. Bei schönstem Wetter konnten wir endlich einmal ein mitttägliches Picknick einnehmen, nahe dem Ausstellungsgebäude, das idyllisch oberhalb des Sees liegt.
Nach der Völkerwanderung, Anfang des 6. und 7. Jahrhunderts, wanderten Slawen von Osten kommend in die fast menschenleeren Landschaften an der südlichen Ostseeküste und besiedelten diese im 9. und 10. Jahrhundert. Die Slawen waren Bauern, sie brachten den Roggen nach Mitteleuropa. Zeitgleich lebten Wikinger an der Ostseeküste und Slawen im Hinterland. Das politische und wirtschaftliche Zentrum der slawischen Stammesgebiete lag meist in einer aus Erde und Holz erbauten Burg. In Mecklenburg-Vorpommern sind 350 runde slawische Burgen bekannt.
Das Freilichtmuseum Groß Raden (Jöns und von Fircks 2012) wurde auf den Resten der slawischen Siedlung errichtet, die von Ewald Schuldt im Zeitraum 1973-1983 auf der kleinen Halbinsel des Groß Radener Sees großflächig ausgegraben wurde. Optimale Erhaltungsbedingungen, wie hoher Grundwasserspiegel und ausschließliche Weidenutzung, sorgten dafür, dass ein Teil der hölzernen Bauelemente noch am ursprünglichen Ort lag. Frau Heike Pilz führte uns durch das Freilichtmuseum und erläuterte uns die Siedlung. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts wurde auf der damals kleineren Halbinsel eine befestigte Siedlung aus etwa 40 lehmverputzten Flechtwandhäusern und einem Heiligtum errichtet und eine Brücke zur damals vorgelagerten Insel gebaut. Der Zugang vom Hinterland zur Halbinsel war durch einen breiten Sohlgraben und eine einreihige Palisade mit Wehrgang geschützt. Wenige Jahrzehnte später wurde die Siedlung zerstört und kurz darauf an gleicher Stelle wiederaufgebaut. In dieser zweiten Bauphase wurden die Häuser in Blockbauweise und größer gebaut. Zusätzlich wurde auf der vorgelagerten Insel aus Holz und Erde ein kreisrunder, 10 m hoher Ringwall, eine Fluchtburg, mit einem Innendurchmesser von 50 m und großem Tunneltor errichtet. Zum Imprägnieren der Leinensegel wurden die Gerbsäure der Eiche, Teer und Kalk verwendet, für Wollsegel der Talg von Pferden und Kühen. Für die Herstellung eines 20 m2 großen Segels benötigt eine geübte Weberin ein Jahr. Ende des 10. Jahrhunderts wurde die Siedlung endgültig aufgegeben.
Die Rekonstruktion umfasst die Siedlung mit Sohlgraben und Palisaden, ein rechteckiges Heiligtum von 7 m x 11 m, Flechtwandhäuser und Bohlenhäuser der beiden Bauphasen, Schwitzhütten, die Brücke zur Fluchtburg mit Brückenhaus und die kreisrunde Fluchtburg mit Tunneltor (Abb. 3). Die alte Uferlinie der Slawenzeit wurde mit einem umlaufenden Graben verdeutlicht. Im Ausstellungsgebäude werden einige der schönsten Funde aus der Slawenzeit in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt. In der Siedlung gab es wenig Kleiderfunde, gefunden wurden Spinnwirtel und gefilzte Lammwolle für Decken.
Danach folgte eine längere Busfahrt zum Hotel in Braunschweig, wo wir das gemeinsame Abendessen einnahmen.
7. Tag, Samstag, 01.10.2022: Schöningen und städtisches Museum Schloss Salder
Bei regnerischem Wetter fuhren wir von Braunschweig zu einem weiteren Highlight unserer Exkursion, zum Forschungsmuseum Schöningen, dem vormaligen paläon (Abb.4). Es wurde eigens neben dem Fundort der spektakulären Schöninger Speere gebaut. Diese wurden zwischen 1994 und 1998 auf einer der archäologischen Ausgrabungsstätten im Braunkohle-Tagebau Schöningen mit Stein- und weiteren Holzartefakten gefunden. Es sind die bisher ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt und ein wichtiger Beleg für die aktive Jagd des Homo heidelbergensis. Ihr Fund hat das Bild der kulturellen Entwicklung des frühen Menschen stark verändert.
Forschungsmuseum Schöningen und Grabungsgelände
Wir hatten das große Glück, dass uns Dr. Jordi Serangeli, der jetzige Leiter der Ausgrabung, fachkundig durch das Museum und anschließend durch das Ausgrabungsgelände führte. Der altsteinzeitliche Fundplatz lag einst in der Verlandungszone eines ehemaligen Seeufers in der Zeit des ausgehenden Holstein-Interglazials, vor 340.000 bis 325.000 Jahren. Die Erhaltungsbedingungen waren optimal und die organischen Materialien wie Fossilien und Hölzer sind außergewöhnlich gut erhalten.
Unter Serangelis Grabungsleitung wurden außer den Fossilien von Wasserbüffel, Säbelzahnkatze und Waldelefant auch Eierschalen vom Singschwan und ein Wurfstock gefunden. Im Gegensatz zu den Speeren ist dieser nur 64,5 cm lang und 2,9 cm dick. Die leichte Biegung des Wurfstocks wurde bewusst hergestellt, es ist keine Verformung durch die Lagerung im Sediment. Die Spuren auf der Oberfläche entstanden beim Aufprall auf feste Oberflächen, wie beispielsweise bei der Vogeljagd. Die Schöninger Speere waren perfekt gearbeitet. Der Schwerpunkt der Waffen liegt im vorderen Drittel und die Speerspitzen liegen neben dem zentralen Mark und damit im härteren Teil des Holzes. Sie wurden nicht im Feuer gehärtet. Die verwendeten Hölzer, Fichte und Kiefer, sind widerstandsfähige und elastische Holzarten, die im kühleren Klima am Ende des vorletzten Interglazials entsprechend langsam wuchsen. Für ihre Herstellung mit steinzeitlichem Werkzeug benötigt ein experimenteller Archäologe nur zwei Stunden. Schnittspuren an einem sehr stabilen Astansatz weisen darauf hin, dass der Homo heidelbergensis dieses Stück als Halterung für Feuersteinartefakte verwendete.
Die Fauna an Großsäugern war vielseitig. Es gab die drei Rinderarten Wasserbüffel, Auerochse und Wisent, das Steppen- und das Waldnashorn, Riesenhirsch, Rothirsch, Reh, Pferd, Höhlenbär und Kragenbär, Altbiber und Biber sowie Schildkröten. Es fanden sich auch Belege für Säbelzahnkatzen und Höhlenlöwen (Serangeli et al. 2020). Ca. 95 % der gefundenen Tierknochen sind Pferdeknochen, die jedoch keine durch Jagd entstandenen Modifikationen aufweisen. Die gefundenen Knochen von 25 Pferden weisen lediglich Schnittspuren von der Bearbeitung zur Fleischgewinnung auf. Die Isotopenanalyse zeigte, dass die Pferde in verschiedenen Zeiträumen zu unterschiedlichen Jahreszeiten zu Tode kamen.
Welche der Tiere auf dem Speiseplan des Frühmenschen standen, lässt sich nicht sagen. Ein Überleben wäre auch als Vegetarier gut möglich gewesen, der Tisch war auch mit Gräsern, Nüssen, Rhizomen, Früchten und Eiern reich gedeckt.
Bisher wurden nur 30 intakte Steinwerkzeuge aus bestem Feuerstein gefunden, jedoch ca. 1500 Absplisse von Nachschärfungsprozessen, was auf eine Wiederverwendung des Materials hinweist. Der Feuerstein wurde durch skandinavische Gletscher hertransportiert. Schöningen könnte ein kurzzeitig genutzter, saisonaler Jagdplatz gewesen sein. Bisher wurde bei den Grabungen kein Nachweis von Feuerstellen gefunden, jedoch eine angekohlte Speerspitze.
Aussagen über die damaligen Klimaverhältnisse können mit Hilfe mikroskopisch kleiner Diatomeen (Kieselalgen) und den Chitin-Plättchen von Krebsen getroffen werden. Die Forschungsräume/Labore sind zum Teil mit großen Fensterscheiben einsehbar und ermöglichen Einblicke in die Arbeit der Wissenschaftler. In einem Labor bestaunten wir unter anderem die Originalfossilien eines Elefanten.
Das Grabungsgelände im ehemaligen Tagebaubereich war bei Nässe schwer begehbar und teilweise rutschig. Wir sahen unter anderem den Fundort eines vollständigen Skeletts einer 50jährigen Elefantenkuh mit 2,3 m langen Stoßzähnen. Der große Schlämm-Arbeitsplatz und die Grabungsplätze gaben uns einen Einblick in den harten Berufsalltag der AusgräberInnen. Es war ein besonderes Erlebnis, den Museumsbesuch mit den Fundorten zu verbinden.
Nach einer Stärkung im Bistro fuhr uns der Busfahrer zunächst zum Grenzdenkmal Hötensleben. Der auf einer Länge von 350 Metern erhaltene „Todesstreifen“ aus Mauern, Metallgitterzäunen, Signaldrähten, Minenfeldern und Wachtürmen ist ein Zeugnis der menschenfeindlichen DDR-Grenzbefestigung an deren „Staatsgrenze West“. Dann ging es weiter nach Salzgitter-Lebenstedt.
Schloss Salder in Salzgitter-Lebenstedt
Schloss Salder wurde 1608 im Stil der Weser-Renaissance erbaut, im 17./18. Jahrhundert erweitert und ist heute das Städtische Museum. Frau Dr. Leopold führte uns zuerst durch die geologische Sammlung im Untergeschoss. Es wird die Entstehung der Salzlagerstätte dargestellt. Im Erdzeitalter Perm verdunstete ein Flachmeer, es entstand eine 450 m mächtige Salzschicht. In der Trias und im Jura lagerten sich 2.500 m mächtige Kreideschichten darüber ab. Die Salzablagerungen wölbten sich als Dome bis knapp unter die Erdoberfläche auf. Im 16. Jahrhundert entdeckte man Salzquellen und Bad Salzgitter entstand.
Im Erdgeschoss ist ein kleiner Bereich der Lebenswelt des Neandertalers gewidmet. 1952 fand man beim Bau einer Kläranlage Fossilien eiszeitlicher Tiere und Feuersteinartefakte. Bei späteren Grabungen wurden außer den Fossilien von 16 Mammuts, 86 Rentieren und einem Pferd auch zwei Schädelfragmente des Neandertalers gefunden. Salzgitter-Lebenstedt war vor 54.000 bis 58.000 Jahren eine Freilandstation der Neandertaler. Funde von Mammutknochen beweisen aber nicht, dass die Neandertaler diese auch gejagt hätten. Die Steinartefakte gehören in die Keilmesser-Gruppe und sind charakterisiert durch die Namen gebenden Keilmesser, die hier aus baltischem Flint hergestellt sind. Auch wurden Knochenwerkzeuge aus Rippen und dem Wadenbein des Mammuts hergestellt. Schulterblatt und Geweihstangen der Rentiere weisen auf die Rentierjagd hin.
Sehenswert ist im Außenbereich ein 2000 Quadratmeter großer „Eiszeitgarten“ mit Modellen von Rentieren und Mammuts. Polarweide und Zwergbirke, Kriechweide, Kamille, Breit- und Spitzwegerich, Blutwurz, Quendel, großes Mädesüß, Beifuß, dorniger Moosfarn, Grasnelke und Wasserpflanzen zeigen die reichhaltige Flora, aus der sich die Neandertaler bedienen konnten.
Dann brachte uns der Busfahrer sicher nach Gütersloh, zum Ort der letzten Übernachtung. Eine Mitreisende hatte dankenswerterweise für das letzte gemeinsame Abendessen ein nettes Restaurant in Hotelnähe organisiert.
8. Tag, Sonntag, 02.10.2022: LVR-Landesmuseum Bonn und Heimreise
Das Ziel unseres letzten Exkursionstages war die Eiszeit-Sammlung das Landesmuseum Bonn mit einem weiteren Highlight, den Originalfunden des namengebenden Neandertalers. Der Neandertalerbereich wurde unter dem Motto „Neandertaler, erste Menschen im Rheinland. Das Klima macht den Menschen“ neugestaltet.
Im Neandertalerbereich vermittelte uns Dr. Ralf Schmitz, einer der Initiatoren und Ausgräber der Nachgrabungen von 1997 und 2000 und heutiger Kurator der Urgeschichte, einen umfassenden Überblick über die gegenwärtigen Forschungsergebnisse. Mit der verbesserten Methode der 14C-Datierung ergibt sich das Alter des Neandertalers mit 45.000 Jahren. In der Nachgrabung von 1997 wurden 22 menschliche Knochenfragmente gefunden (ein Fragment passte genau an den Oberschenkelknochen des Neandertalers von 1856) und weitere 73 Knochenfragmente im Jahr 2000, darunter Teile eines Armes einer Neandertaler-Frau. Genetische Untersuchungen ergaben, dass sie eher dem Neandertalertyp im Südosten Europas ähnelt.
Im Rheinland gibt es nur einige Höhlen, der Neandertaler lebte dort meistens im Freiland. Der mehrere fußballfeldgroße Fundplatz bei Ratingen, an dem Quarzit als Rohstoff reichlich vorhanden war, weist eine lückenlose Kette der unterschiedlichen Herstellungsschritte von Steinwerkzeugen auf.
Bei Mönchengladbach-Rheindahlen wurden in der 10 m mächtigen Lehmgrube einer früheren Ziegelei Grabungen durchgeführt. Die neun Fundschichten umfassen den Zeitraum von 400.000 bis 20.000 v.Chr. Vor ca. 80.000 Jahren, in einem Interstadial der Frühweichsel-Kaltzeit, gab es bereits eine progressive Klingentechnik. Kleinere Klingen wurden mit Birkenpech in Holz oder Geweih gefasst. In einer Schicht aus dem Warthe-Stadium der deutlich älteren Saale-Kaltzeit vor ca. 200.000 Jahren wurden 20.000 Artefakte gefunden, Werkzeuge aus Knochen, Geweih und Holz, letzteres jedoch mit einem sehr geringen Anteil von nur 0,1 %. Die entwickelte Levallois-Methode erforderte ein dreidimensionales Vorstellungsvermögen, eine großartige Leistung. In Rheindahlen ist Feuerstein das mit Abstand bevorzugte Rohmaterial.
Beeindruckend ist auch die Fähigkeit, Birkenpech herzustellen; damit konnten Steinklingen in Holz und Geweih eingeklebt werden. Inwieweit der Neandertaler die antiseptische Wirkung des Birkenpechs kannte, z.B. bei Zahnschmerzen, ist nicht bekannt.
Dr. Schmitz wies auch auf die vom Neandertaler sehr fein bearbeiteten Blattspitzen und Faustkeile hin, was rein funktionsmäßig nicht notwendig war, und hob den Sinn für Schönes und Ästhetik des Neandertalers hervor.
Jungpaläolithische Bestattung im Doppelgrab von Bonn-Oberkassel
Die Skelette einer 25-jährigen Frau und eines ca. 45-jährigen Mannes zeigen Hämatitspuren, hervorgerufen durch eine Bedeckung mit rötelhaltiger Erde. Die 14C-Datierung ergab 12.000–11.350 v.Chr., die Zeit der Federmesser-Gruppen. Die 2014 durchgeführte genetische Untersuchung zeigte, dass es sich nicht um Vater und Tochter handelte. Im Grab befanden sich auch Skelettteile eines jungen kranken Hundes, der kein Jagdbegleiter sein konnte. Anhand genetischer Untersuchungen weiß man, dass der Mensch den Wolf früher zähmte als bisher angenommen. Die Grabbeigaben umfassten den Penisknochen eines Bären, einen 20 cm langen Knochenstab mit Tierkopf und eine aus Elchgeweih geschnitzte liegende Elchkuh.
Auch dieser letzte Museumsbesuch war gefüllt mit interessanten Informationen und vielen Details der aktuellen Forschungsergebnisse. Die Heimreise verkürzte uns unser Exkursionsleiter Kurt Langguth mit einem Exkurs über die Domestizierung des Wolfes zum Jagdbegleiter und Haustier. Ohne Stau kamen alle Mitreisenden wohlbehalten am Zielort an, glücklich ob der vielfältigen Eindrücke und Informationen.
Danksagung
Auf dieser Exkursion der GFU erlebten wir eine Fülle von interessanten und vielfältigen archäologischen Fundstellen, Museen und Freilichtmuseen. Sie umfasste unterschiedliche Epochen der menschlichen Evolution bzw. Kulturen in Mittel- und Norddeutschland. Die arbeitsintensive Organisation lag wieder in den Händen von Manfred Gassner und unseres fachkundigen Exkursionsleiters Kurt Langguth, die ein vielseitiges Programm zusammengestellt hatten und auch die jeweiligen Experten als Führer gewinnen konnten. Für unseren stets freundlichen und geduldigen Fahrer Herrn Ottmar Rist ein herzliches Dankeschön, er hatte auf der 2900 km langen Reise etliche Parkprobleme souverän gelöst.
Literatur
Gaudzinski-Windheuser, S. und Jöris, O. 2022: MenschlICHes VERSTEHEN. Die Archäologie der menschlichen Verhaltensevolution. Römisch Germanisches Zentralmuseum 1. Mainz: Verlag des RGZM.
Jöns, H. und von Fircks, J. 2012: Das Archäologische Freilichtmuseum Groß Raden. Altslawischer Tempelort des 9. und 10. Jahrhunderts. Ein Führer durch das Freigelände. 2. Auflage, überarbeitet von D. Jantzen. Landesamt für Kultur-und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern.
Serangeli, J., Verheijen, I., Rodríguez Álvarez, B., Altamura, F., Lehmann, J. und Conard, N. J. 2020: Elefanten in Schöningen. Archäologie in Deutschland 3/2020, 8–13.